Seit wann gibt es Grafikdesign?
Grafikdesign hört sich an wie eine Erfindung der 1980-er Jahre. Doch in Wirklichkeit ist Grafikdesign noch älter als Sie vielleicht denken!
Das Grafikdesign ist so tief in unserer modernen Welt verankert, dass man sich kaum vorstellen kann, wie die Welt ohne überhaupt aussähe. Dabei hat es eine Welt ohne Grafikdesign tatsächlich nie gegeben. Grafikdesign bezeichnet eine Form der visuellen Kommunikation – und visuell kommuniziert haben wir schon immer. Insofern ist das Grafikdesign, streng genommen, fast so alt wie der Mensch selbst – auch wenn der Weg von den ersten Höhlenbildern zum digitalen Tablet lang und kurvenreich war.
Für Designer ist es wichtig, den eigenen Platz in dieser Geschichte zu verstehen. Und zu wissen, wo, warum und wie diese Branche entstanden ist. Ein Blick auf vergangene Strömungen und Entwicklungen ist dabei ebenso interessant wie inspirierend. Immerhin wiederholen sich Stilrichtungen oft und eine Beschäftigung mit der Vergangenheit kann zu neuen, innovativen Ideen führen. Werfen wir doch einen kurzen Blick auf die wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung des Grafikdesigns.
Höhlenmalereien
Die Existenz von Höhlenmalereien aus prähistorischen Zeiten beweist, dass der Mensch schon immer das Bedürfnis gehabt haben muss, sich künstlerisch auszudrücken. Und das über alle Kulturkreise hinweg. So finden wir heute überall auf der Welt sehr frühe Darstellungen von Tieren, Handabdrücken oder der Jagd. Historiker sind sich noch uneins darüber, was oder mit wem hier kommuniziert werden sollte, unstrittig ist aber, dass Menschen von Beginn an ein Talent dafür gezeigt haben, mit Bildern zu kommunizieren.
Die Schriftsprache der Sumerer
Schrift und Schriftgestaltung sind ein untrennbarer Bestandteil des Grafikdesigns. Und ein untrennbarer Bestandteil unserer Sprache und unserer Kommunikation. Die erste geschriebene Sprache haben die Sumerer entwickelt – man nimmt an, dass sie das vorwiegend taten, um Handel zu treiben, Bestände zu notieren und um zu verhindern, das Teile der Ware auf dem Weg zum Ziel abhanden kam.
Die frühesten Sprachen waren logografisch. Statt für phonetische Geräusche standen die Symbole für ganze Wörter – so wie Symbole und Icons dies heute auch im Bereich des Grafikdesigns tun. Dieser Umstand scheint darauf hinzudeuten, dass der Mensch eine natürliche Fähigkeit besitzt, visuelle Darstellung zu verwenden und zu interpretieren, um so auch komplexe Ideen zu kommunizieren.
Grafikdesign, Typografie und Druck
Was den Druck – also die Vervielfältigung von Zeichen und Schriften mit Hilfe von Druckverfahren – angeht, waren die Chinesen der Frühzeit überaus kreativ. Sie haben unter anderem das Papier, den Holzschnitt und die ersten beweglichen Lettern erfunden. Bereits 200 Jahre vor der Zeitenwende nutzten die Chinese Holzreliefs, um komplexe Designs auf Seide, später auch auf Papier, zu übertragen. Und im Jahr 104 erfand der Chinese Bi Sheng die erste Druckerpresse aus Porzellan. Das war ganze 400 Jahre, bevor Gutenberg seine bahnbrechende Druckerpresse in Europa entwickelte.
Die Schriftgestaltung – also die Typografie – erlebte im Mittelalter einen Aufschwung. Nun ging es nicht mehr nur darum, mithilfe der Schrift Informationen zu übermitteln, sondern sie wurde zu einem wesentlichen Gestaltungsmittel bei der Herstellung gedruckter Medien. Bücher erhielten durch die künstlerische Gestaltung ihrer Inhalte einen besonderen Wert. Besonders wichtig wurde die Typografie in der islamischen Welt, denn hier waren bildliche Darstellungen oft unzulässig. Die Typografie hingegen war eine allgemein akzeptierte Form des künstlerischen Ausdrucks.
Grafikdesign in der Werbung
Die ersten Anwendungen des Grafikdesigns im Bereich der Werbung und des Marketings finden wir in Form von Ladenschildern. Und diese gibt es bereits seit dem 14. Jahrhundert. Gerade im städtischen Raum waren viele Wasserquellen verschmutzt, weshalb Bier zu einer bevorzugten Alternative zum Trinkwasser wurde. Um den Zugang zu diesem Getränk zu erleichtern, erließ König Richard II. von England ein Gesetz, das Wirtshäuser, in denen Bier oder Ale angeboten wurde, dazu verpflichtete, außen gut sichtbare Schilder anzubringen, damit die Menschen diese leichter finden konnten. Diese Ladenschilder waren nicht nur die ersten, die Unternehmen repräsentierten, sondern auch der Ursprung einer Tradition, die bis heute lebendig ist.
Grafikdesign in der Renaissance
Im Jahr 1439 stellte Johannes Gutenberg die ersten beweglichen Lettern in Europa vor, die sich dazu eigneten, geschriebene Informationen beliebig oft, sehr schnell und sehr einfach zu vervielfältigen. Damit läutete er in der westliche Welt die Massenkommunikation ein. Bücher, Informationsblätter und wissenschaftliche Abhandlungen wurden einer breiteren Gruppe von Menschen zugänglich. Da man mit der Gutenberg’schen Presse nicht nur reine Texte, sondern auch Bilder, Symbole und andere Elemente vervielfältigen konnte, ebnete sie den Weg zur kommerziellen Nutzung von Gestaltung – das Grafikdesign, so wie wir es heute kennen, war geboren.
Die Druckindustrie war die erste, die „Logos“ verwendete, um die eigenen Dokumente und Bücher zu kennzeichnen, wenn man von herrschaftlichen Wappen einmal absieht. Diese Logos wurden nicht nur als „Branding“ verwendet, sondern dienten auch dazu, das eigene Können zur Schau zu stellen, denn die Qualität, mit der ein Logo gedruckt wurde, ließ einen Rückschluss auf die Qualität der Druckerei zu.
Die Druckerpresse ermöglichte im 16. Jahrhundert auch die Geburt des „Coranto“, dem Vorgänger der späteren Zeitung. Sie enthielten nicht nur aktuelle Informationen, sondern wiesen auch mit anspruchsvollen Gestaltungselementen auf Produkte oder Dienstleistungen hin – es entstanden die ersten gedruckten Werbeanzeigen mit Bildern in massenproduzierten Medien.
Farbe im Grafikdesign
In der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Chromolithographie entwickelt. Sie machte es möglich, beim Druck mehrere Farben zu verwenden – ein echter Meilenstein für das Grafikdesign im Druckbereich!
Unternehmen waren nun in der Lage, viele der noch heute bekannten Marketing-Prinzipien zu etablieren und durch die Verwendung alltäglicher Szenen emotionale Verbindungen zum Betrachter aufzubauen. Bald fanden, dank der detaillierteren Darstellung, die die Chromolithographie ermöglichte, auch attraktive Models, angesagte Mode und künstlerische Darstellungen Einzug in die Werbung.
Modernes Grafikdesign
Das Grafikdesign, so wie wir es heute kennen, entwickelte sich in der Zeit zwischen dem späten 19. Jahrhundert und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Nun lernten die ersten Grafikdesigner, technische Fortschritte und die damit verbundenen Möglichkeiten für ihre gestalterischen Ziele zu nutzen. Im Bereich des Marketings und der Werbung hatte sich der Druck zu einer weit verbreiteten Technik entwickelt. Zeitungen und Zeitschriften boten ein ideales Medium und der im Zuge der industriellen Revolution steigende Wettbewerb die notwendige Motivation, um die Möglichkeiten der grafischen Gestaltung zur Promotion von Waren, Dienstleistungen und Marken zu nutzen.
Grafikdesign im 20. Jahrhundert
Immer mehr Unternehmen erkannten den Wert des Grafikdesigns für die Unternehmenskommunikation und so entstanden um 1903 die ersten Grafikdesign-Agenturen. Die erste und bekannteste war die Wiener Werkstätte, die einen großen Einfluss auf die Entwicklung moderner Stile und einer klaren Designsprache gewann. In ihr arbeiteten die verschiedensten Künstler zusammen – Maler, Architekten und die erste Grafikdesigner – auch wenn man noch nicht von Grafikdesignern sprach. Dieser Begriff sollte erst später auftauchen.
In Weimar eröffnete im Jahr 1919 das Staatliche Bauhaus. Hier führten Designer und Gestalter, Architekten, Innenarchitekten und Künstler die Ideen weiter, die ihre Wurzeln in der Wiener Werkstätte hatten. Und sie hatten ein ambitioniertes Ziel. Sie wollten ein künstlerisches Ideal erschaffen, das alle existierenden Kunstformen auf perfekte Art und Weise vereint. Damit schufen sie einen klaren, modernistischen, zeilorientierten Stil, der bis heute prägend wirkt. Das Bauhaus wurde zum Synonym für gutes Design.
Der Begriff des „Grafikdesigners“
Der Begriff des Grafikdesigners geht auf den Gestalter William Addison Dwiggins zurück. Er verwendet diese Bezeichnung als erster – und zwar in dem Artikel „New Kind of Printing Calls for New Design“ („Neue Druckmethoden erfordern neues Design“), der am 29. August 1922 im Boston Evening Transcript erschien. Dwiggins verwendete den Begriff des Grafikdesigners, um zu beschreiben, welche Rolle er bei der Strukturierung und im Umgang mit den visuellen Inhalten eines Buchdesigns spielt. Wie es scheint, hatten Grafikdesigner schon sehr früh Probleme damit, anderen Menschen zu beschreiben, was genau das eigentlich ist, was sie da tun.
Das Grafikdesign wird erwachsen
1947 veröffentliche der legendäre Designer Paul Rand sein Werk „Thoughts on Design“ („Gedanken zum Design“), in welchem er seine Ideen, Vorstellungen und Theorien zum Grafikdesign darlegte. Dieses Werk sollte prägend sein für die weitere Entwicklung dieser Branche und die gesamte Zukunft des Grafikdesigns.
In seinem Buch fordert Rand eine striktere, klarere Designphilosophie, eine „funktionell-ästhetische Perfektion“. Er wollte eine Balance erreichen zwischen einem hohen ästhetischen Anspruch und einer wirkungsvollen Kommunikation – etwa bei der Entwicklung eines Logos. Zahlreiche seiner Arbeiten sprechen für diese Designphilosophie und sind uns noch heute bekannt: Paul Rand entwickelte die Logos von IBM, UPS, des Fernsehsenders ABC, Logos für Ford, NEXT oder die Yale University.
Grafikdesign in einer digitalen Welt
Die digitale Welt, so wie wir sie heute kennen, ist ein Produkt technischer Entwicklungen, die in den 1980er Jahren ihren Anfang nahmen. Zwar gab es erste moderne Computer bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, massenhaften Einzug in private Haushalte fanden sie allerdings erst in den 1980ern. Heimcomputer läuteten einen technologischen Fortschritt ein, der mit der Erfindung der Druckerpresse vergleichbar ist – ein neues Zeitalter der Massenkommunikation, neuer Software und neuer Methoden zur Gestaltung von Kunst und Design.
1990 erschien die erste Version von Adobe Photoshop. Die digitale Bildbearbeitung erschuf ganz neue Ausdrucksformen, die Elemente der Fotografie, der Illustration und Architektur miteinander verband. Und das Aufkommen des Internets – insbesondere des World Wide Web – eröffnete dem Grafikdesign einen neuen, frischen Boden. Raum für neue Ideen, Kreativität und völlig neue Produkte.
Bildquelle: Europeana